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ALLES IST EITEL UND HASCHEN NACH WIND

​Ronja Greiner

​​​Mit einem Mal wurde mir klar, dass es nicht die Butter ist.
Ich starre auf mein Brot, als wäre es vorgestern beerdigt worden.
Die plötzliche Erkenntnis in meinem Blick zieht fremde Augen an, die sich aber
sofort wieder zuckend abwenden, Kopfbewegungen wie Hühner.
Als ich glaube, wieder allein zu sein, mitten im Café, betrachte ich weiter das
glänzende Fett auf meiner Brotscheibe und trinke mit einer automatischen Hand
den letzten Schluck aus meiner Tasse. Was ist, wenn ich es nie gewollt habe, aber
nicht ankomme gegen den Sog, ich will mein Handy nehmen, dich anrufen, vom
Klang deiner Stimme mitgerissen werden, obwohl mir jetzt klar ist, dass es nicht die
Butter ist.
Was ist, wenn ich es nie gewollt habe?
Neben mir liegt Feder und Briefpapier, der Kellner fragt freundlich in meinen
gefrorenen Blick hinein, ob ich gerne noch einen Kaffee hätte. Während mein Kopf
nickt, erhasche ich eine andere Perspektive auf die reflektierende Oberfläche.
Nun, wo liegt die Schuld? Es ist nicht die Butter.
Ich zünde die Zigarette an, die schon viel zu lange auf meinen Lippen liegt. Wer
raucht, hat mehr zu tun (Zigaretten kaufen, anzünden, einatmen, ausatmen, Zigarette
ausdrücken, Aschenbecher leeren). Nur, nachdem man die Zigarette ausgedrückt
hat, kann man nicht mehr zurück, die Asche nicht mehr zusammenfügen, den Wind
nicht zurückpfeifen – was man erlebt hat, ist vorüber. Im Endeffekt war es nur ein
einziger Brief, von da an zogen deine Worte mich für immer an und für immer aus. Und
ich wünschte, ich könnte einfach gehen, aber ich habe noch nicht bezahlt und mein
Butterbrot noch nicht gegessen, meine Zigarette steckt waagrecht im Aschenbecher
und brennt unaufhörlich dem Ende entgegen. Der Kellner stellt eine warme Tasse
Kaffee auf den Tisch, ich nicke wieder, diesmal dankend.
Ich kämpfe mit mir, soll ich aufgeben?
Soll ich realistisch sein und an das Unmögliche glauben?
Dem Wind seine Macht lassen?
Dem Wind und allem, was ihn umgibt, dem Wind und allem, das er zerreißt.
Vielleicht sollte ich ihm dankbar sein, weil er die Welt zusammenhält durch die Worte,
die er trägt. Langsam schaue ich auf und sehe, dass alle Tische um mich herum leer
sind und neben meiner kalten Tasse Kaffee eine Kerze brennt. Der Kellner kehrt
die Blätter zusammen, die einst zu Bäumen gehörten. Manchmal denkt man, man
könnte dem Sturm entgehen, indem man ihn ignoriert, indem man seine Bedeutung
neu definiert: „Es ist nur ein bisschen Wind.“
Ich lege einen Zehneuroschein auf den Tisch und stecke meine Zigaretten ein, die
Straße sieht mich abwartend an. Mit jedem Atemzug spüre ich die unruhige Luft
kälter werden und es schallt in meinem Kopf:
 
Stell dich mitten in den Wind,
glaub an ihn und sei ein Kind –
lass den Sturm in dich hinein
und versuche gut zu sein.

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