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TB
Leonard Kohlberger
„Das beste Kunstwerk aller Zeiten stammt von Katharina Fritsch, glaube ich. Es ist ein Foto in einem Katalog, der abgesehen davon, gefüllt ist mit dem, was man im Allgemeinen mit Katharina Fritsch assoziiert: ein grüner Elefant, ein roter Geschäftsmann mit Pferdeschwanz und Ziegenfuß, ein Skelett im Doktorkittel. Allesamt lebensgroß, einfarbig und aus Plastik. Als ich noch klein war und das Buch noch groß, begegnete ich dem Foto der schwarzen Maus, die auf der Brust eines schlafenden Mannes stand. Wovon träumte er, dass er solch einen Geist beschwor?
Diese Arbeit steht im Museum, man kann sie ansehen, wenn man möchte. Ich erinnere mich daran, es für eine gute Idee gehalten zu haben, M die beiden zu zeigen, als sie im Winter unter Schlafstörungen litt. Was ich mir davon versprach, habe ich vergessen. Mir bleibt aber die Erinnerung an die Fotos, die die Aufsicht, ein gelangweilter Mann, von uns machte, nachdem er uns minutenlang aufmerksam dabei beobachtet hatte, wie wir um den Liegenden und seine Maus umhergetigert waren. An diesem Tag sah ich die Skulptur zum ersten Mal in echt. Ich erinnere mich daran, die Proportionen, in denen das Bett und der darin befindliche Körper gehalten waren, merkwürdig gefunden zu haben. Es muss gesagt sein, dass man den Körper nicht zu Gesicht bekommt, es handelt sich hier um eine Schlussfolgerung aus der Tatsache des Kopfes, der unter der perfekt gewölbten Decke hervorlugt. Wo ein Kopf ist, da findet sich gesetzmäßig auch ein Körper. Jedenfalls meistens. Dieser Mensch, dessen Kopf eine anständige Größe hatte, musste im Rest ziemlich klein sein. Jedenfalls, wenn man das Bett als logische Grenze zwischen ihm und allem anderen zieht.
So, oder so ähnlich, lässt sich anekdotisch die Erfahrung einer „typischen“ Fritsch Arbeit durchspielen. Die Besprechung bemüht sich um die Erläuterung räumlicher Wirkungen und der Deutung eher klassischer Symbole. Das beste Kunstwerk aller Zeiten hat nichts von alledem.
Man blättert sich durch lebensgroße Plastikfiguren von Mönchen und eineiigen Zwillingen, die sich am Tisch gegenüber sitzen und auf einmal stockt der Atem, weil die nächste Seite ihr Versprechen, von mehr davon, bricht. Hier ist ein Foto. Keine Repro, sondern ein Foto. Das einzige Foto im ganzen Heft, dass eben ganz ausgesprochen keine Repro ist, sondern ein Foto im besten Sinne. Zu sehen ist ein Treppenhaus. Zur linken sieht man eine zweiflüglige, mit minimalistischen Ornamenten verzierte, Wohnungstür, und zur rechten den Anschnitt einer breiten Treppe, die wahrscheinlich in das nächst höhere Stockwerk führt. Mehr gibt es nicht zu sehen. Quasi. Zieht man nun den Titel der Fotografie zu Rate, so weiten sich die Pupillen und die Haare an den Unterarmen stellen sich stachelig zu einer Gänsehaut auf (hoffentlich). Es heißt: Parfum im Treppenhaus.“
„Ja, ich verstehe dich. Hier ist doch noch etwas außer dem Licht. Hier ist ein Geruch. Da muss jemand anders gewesen sein. Ich habe die Tür nicht gehen hören, aber dennoch erkenne ich den so vertrauten staubfeuchten Geruch des Treppenhauses, als verändert. Eine fremde Note hat sich in sein Geflecht eingearbeitet. Es muss jemand zu Besuch da gewesen sein. Vor dem Herausgehen muss die Fremde Person sich noch einmal eingesprüht haben. Die Luft ist außerordentlich. Man meint die Moleküle noch in der Luft umherwirbeln zu hören. Sie klirren leise, wenn sie sich berühren.“
„Es gibt einige Szenen in deiner Erinnerung, die synonym für ganze Episode deines früheren Lebens stehen. Dazu ist der Geruch dein Schlüssel. Es sind keine Szenen mehr, die sich abspielen, sondern Sequenzen, die gleichzeitig an Geschwindigkeit verlieren und an Auflösung zunehmen. Der Duft spaltet und sortiert die Erinnerung. Der Duft ist dir ein falscher Freund. Nostalgie ist eine gefährliche Sache. Wie ein Peitschenschlag schießt das, was vergessen geglaubt war, hinter den glasigen Augen, in die Luft des Treppenhauses.“
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