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ORANGENE RÄUME

Mira Posingies

Meine Lieblingsfarbe ist blau.
Ich weiß gar nicht, ob das stimmt, aber als Kind habe ich das irgendwann festgelegt und seitdem beantworte ich die Frage nach meiner Lieblingsfarbe mit blau.
Sicher schon seit 20 Jahren.
Meine ganze Kindheit sind meine Eltern mit mir zu einem anthroposophischen Kinderarzt gegangen. Seit meiner Geburt war ich dort in Behandlung. Eigentlich meine ganze Familie.
Meistens saß man stundenlang im Wartezimmer, bevor man drankam.
Zwischen Holzmöbeln, Halbedelsteinen und anderen Eltern. Meistens las ich.

Am Anfang jeder Untersuchung fragte der Arzt, was gerade meine Lieblingsfarbe sei.
Blau.
Dann welche Farbe ich nicht möge.
Orange. 

Mein Kinderzimmer war orange gestrichen. Aprikosenorange.
Meine Eltern hatten es als Überraschung für mich renoviert, als ich mit meinen Großeltern im Urlaub war.
Da haben sie es orange gestrichen.
Ein neuer Nachttisch den eine Freundin meiner Mutter für mich türkis-orange lackiert hatte. Mein Bruder hatte meinen Plastikleguan darauf drapiert. 

Ich habe bestimmt acht Jahre in dem orangenen Zimmer verbracht, bevor ich dann mit zwölf in das alte Zimmer meines Bruders gezogen bin.
Das war unter dem Dach und halb blau und halb grün gestrichen. 

Ich weiß gar nicht mehr, ob ich auf die Frage meines Arztes erst mit orange antwortete als mein Zimmer orange wurde oder schon davor. 

Vielleicht hätte jemand meinen Eltern sagen sollen, dass ich orange nicht mag.
Vielleicht hätte aber auch jemand meinem Arzt sagen sollen, dass mein Kinderzimmer orange war.
Jetzt sind all diese Räume weiß.
Aber wenn ich in den Park gehe, mich ins Gras lege, die Augen schließe und die Sonne auf meine Lider scheint, dann bin ich wieder in einem endlosen orangenen Raum. 

Und ich weiß gar nicht, ob blau noch meine Lieblingsfarbe ist und ob ich orange nicht mag. 

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