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WEI

Saskia Tamara Kaiser

Manchmal, wenn ich einschlafe, fällt mir wieder ein,
dass es einmal einen Ort gab, an dem der Exzess wie Weiß, wie Blut die Felder benetzte.
Wenn meine Füße dann ihren Halt verlieren, erkenne ich, dass es gar nicht meine eigenen waren
und die Felder niemals Felder gewesen sind.
 
Nackte Füße, schlecht lackierte Nägel.
Schwarz auf weiß.
Dunkle Dielen schälten sich spröde an jeglichen Ecken und Kanten unter weißem Lack hervor.
Weiß auf schwarz.

Gänzlich nackt stand Sie da und sah auf mich hinab.
Meine Augen suchten die Ihren, doch ein Treffer – schier unmöglich.
Ein stechender Schmerz – ein Brennen.
Das Licht war so grell, dass ich Nichts sehen konnte.
Schwarzgelb reflektierte der weiße Umraum bei jedem Wimpernschlag.

Ich erblindete, konnte Nichts um mich herum erkennen.
Warum es plötzlich so hell geworden war,
war mir ebenso schleierhaft wie das Weiß der Schändung des inneren Lichts,
welches sich nicht mehr wie ein Gefühl, sondern wie die wahr gewordene Reflexion in der
vermeintlichen Mitte meines Gesichts platzierte.
An diesem Punkt wo es sich oft verlor und ich dachte zu wissen, dass meine Nase, meine Nase war,
befand ich mich all zu oft.

Aber manchmal, wenn ich einschlafe, dann fällt mir wieder ein,
dass es viele kleine Spinnen waren, die mir aus der Nase liefen.
Es kitzelte und juckte, doch das Kratzen machte die Spinnen dann nur noch unruhiger.
Es wurden immer mehr.

Weil ich blind war, war ich wie versteinert.
Der Körper sank nur mehr in die Kissen und ließ es über sich ergehen.

Die kleinen Beine liefen über unseren Körper,
überall waren sie und wurden so viele, dass ich befürchtete unter ihnen ersticken zu müssen.
Stumm schrie ich, rief nach der nicht mehr erkennbaren Frau, die nun auch ich war.
Ich rief so laut, dass es immer stummer wurde.
Blut rauschte in meinen Ohren und meine Angst wurde immer spürbarer.
Im Zweifel über meine Situation und Existenz, trotzte ich und schaffte es mir an die Nase zu fassen.

In der Scheinwahrheit schien alles real zu sein, woran man glaubte.
Also steckte ich mir zwei Finger in die Nasenlöcher und konnte wieder sehen.
Ich spürte tausende von Spinnen auf meiner Haut.
Sie waren überall und doch nicht da.

Aber manchmal, wenn ich einschlafe, fällt mir wieder ein,
dass das Federbett gar nicht meins, sondern seins war.
Wenn ich versuchte, mich zu erheben, war ich plötzlich nackt – hatte ich doch eigentlich ein rotes
Sommerkleid getragen.

Aber manchmal, wenn ich einschlafe, fällt mir wieder ein,
dass meine Füße voller Öl waren.
Einbalsamiert, doch ohne den Willen, mich zur Ruhe zu legen, lag ich da.
Warm tropfte das Fett als Öl und sickerte auf die weißen Laken.
Ich vergaß die Spinnen, wurde eins mit dem Untergrund, wiegte mich in hell gekochter Bettwäsche.
Das Fett hinterließ graublaue Flecken, die sich schattenhaft unter mir ausbreiteten.
 
Der letzte Gedanke, jedes Mal, wenn ich einschlafe, ist,
wie märchenhaft sich das Weiß der Felder mit dem Graublau des Horizonts vermischte –
immer wieder, solange, bis nichts mehr blieb als Weiß.

Es war nichts.

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